„Wir dürfen den Menschen keinen Beisetzungsort aufzwingen, der für sie keine Funktion und damit keinen Nutzen hat. Wir müssen ihnen einen Ort schenken, an dem sie mit ihrer Trauer so frei umgehen dürfen und können, wie es ihnen guttut”, unterstrich Prof. Dr. Dr. Michael Lehofer, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe und Psychotherapeut in seinem Vortrag am 25. Oktober 2019 beim Kongress zur Zukunft der Friedhöfe „Heilsame Abschiede”.
Rund 300 Bestatter, Friedhofsgärtner, Steinmetze, Trauerbegleiter, Soziologen, Psychologen sowie Vertreter von Stadtverwaltungen, Kirchen und Verbänden waren nach Köln gekommen, um sich über die Entwicklungen in der Trauerkultur, den Einfluss der Digitalisierung auf die Erinnerungskultur sowie die Bedeutung von Trauerorten auszutauschen. Träger der Veranstaltung war die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal in Kassel. Moderiert wurde sie von Matthias Horx, Trendforscher und Gründer des Zukunftsinstituts.
In Deutschland sind Friedhöfe meist in Trägerschaft von Kommunen und Kirchen, immer noch mit jahrzehntealten Satzungen versehen und stark reglementiert: Sie lassen kaum Raum für individuelle Trauerhandlungen und werden meist mit Pflichten und starren Verhaltenserwartungen assoziiert. Damit erzeugen sie eher Gefühle des Konformitätsdrucks und der Anspannung. Das zeigen sowohl die Ergebnisse der Studie „Trauerkultur der Zukunft”, die vom Zukunftsinstitut in Zusammenarbeit mit dem internationalen Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov erstellt wurde, als auch der von den Soziologen Dr. Thorsten Benkel und Matthias Meitzler in Köln vorgestellte Bericht „Zur soziologischen Forschung über die Umgangsweisen mit Grabstätten”. Zunehmend würden die Menschen daher nach alternativen Bestattungsformen suchen, wie etwa in Beisetzungswäldern, bei Seebestattungen oder auch auf Streuwiesen von Friedhöfen. Doch auch hier sei es seitens der Betreiber oft nicht zugelassen oder möglich, Grabschmuck oder kleine Trauergrüße am Ort der Beisetzung zu hinterlassen - Handlungen, die für viele Trauernde wichtig und als heilsame Rituale anzusehen seien. Auch die Anonymität dieser namen- und zeichenlosen Bestattungsformen stehe einer gelingenden Trauerarbeit entgegen, so das zentrale Ergebnis beider Studien.
Weder der klassische Friedhof noch die neu aufgekommenen Angebote der anonymen oder halbanonymen Beisetzungen entsprechen also in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft den Bedürfnissen der Angehörigen und sind damit einem heilsamen Trauern nur bedingt dienlich. Dr. Dirk Pörschmann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. und Direktor vom Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur, forderte daher: „Um den Friedhof als gesellschaftlich akzeptierten, für Hinterbliebene attraktiven und funktionierenden ‚Raum für Trauer‘ zu gestalten und ihn als wertgeschätzten Ort für Trauernde zu etablieren, muss es gelingen, ihn im Zentrum der Gesellschaft selbst zu etablieren. Im Mittelpunkt des Friedhofs der Zukunft stehen die Bedürfnisse der Menschen. Um die Attraktivität bestehender Friedhöfe zu steigern, muss ihr immaterieller Nutzen, die wirkungsspezifische Funktion der dort angebotenen Beisetzungsorte, in den Mittelpunkt gerückt werden.”
Weitere Informationen zum Kongress unter: heilsame-abschiede.de